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Wer hat Angst vor dem Supergründer?

5 Gründe, warum man keine Ausnahme-Persönlichkeit sein muss, um ein erfolgreiches eigenes Unternehmens zu gründen.

Was wäre das hippe „Entrepreneur“-Narrativ ohne die schillernden Geschichten von den genialen Gründern, die die Journale der Business Welt bevölkern wie die Schönen, Reichen und Adligen die Frauen-Journale? Wir kennen Sie alle – die Stories von dem wundersamen Entrepreneur-Wesen, das als blutjunger, tollkühner Draufgänger mit Charisma und einer guten Dosis hochbegabter Nerdigkeit sämtliche Business-Schallmauern mit disruptiver Sprengkraft durchbricht. Der nach dem apokalyptischen Scheitern seiner x-ten Firma sofort wieder aufsteht und die x+1-te, diesmal extraorbitant erfolgreiche Geschäftsidee an den Start bringt.

 

Und wer hätte nicht schon davon geträumt, selbst ein Unternehmen zu gründen und damit innerhalb weniger Jahre ein Vermögen anzuhäufen, von dem es sich für den Rest des Lebens trefflich leben und dazu noch großzügig spenden ließe?


In den entsprechenden Träumen sieht man sich schon zwischen diversen Wohnsitzen an bunten Traumstränden und den In-Cities dieser Welt in der First-Class Hängematte hin und herjetten, und ab und an auf philanthropischen Events die Nöte der Menschheit gnädig mit einer Handbewegung um ein paar Millionen zu verringern...

 

Mit schöner Regelmäßigkeit folgt diesen Reverien dann aber der Stoßseufzer: „Ach nein, solch Glück ist mir leider nicht gegeben. Ich bin einfach keiner dieser Auserwählten. Keine geniale Idee in Sicht, von den Eltern kein Gründer-Gen und kein Startkapital geerbt, und überhaupt: Ich bin einfach viel zu normal für solche Höhenflüge“. Man kennt sie ja, die Liste von vermeintlich typischen Eigenschaften, die ein erfolgreicher Gründer angeblich für die Chance auf den ganz großen Durchbruch mitbringen muß.

 

Aber was ist wirklich dran an den gängigen Mythen über das wundersame Unternehmer-Tier? Sind Gründer wirklich so einzigartig und anders als der Rest der Welt? Welche Eigenschaften haben erfolgreiche Gründer und Geschäftsmodell tatsächlich? Schaun wir doch mal nach, was die Faktenlage dazu sagt.

 

Mythos Nr. 1: Gründer müssen jung sein

 

Mutig, jung, ungebunden und abenteuerlustig – so stellt man sich den typischen Gründer gern vor. Klar: In jungen Jahren hat man die Energie, die Welt zu erobern, und in jugendlicher Begeisterung wachsen die Bäume noch in den Himmel. Wer würde schon in vorgerücktem Alter, wenn Realitätssinn und Gewohnheiten Einzug halten, und wenn die Familie ihren Tribut an Sicherheit und Verantwortungsbewusstsein einfordert, noch das Risiko einer Unternehmensgründung eingehen?


 

Der Faktencheck zeigt aber: Tatsächlich ist die Altersverteilung der Gründer in Deutschland enorm breit und umfasst wirklich alle Altersstufen. Vom 18-jährigen Grünschnabel bis hin zum über 60-jährigen Senior ist alles vertreten. Im Mittel, so fand das Institut für Arbeits- und Berufsforschung in der GEM-Bevölkerungsbefragung 2015 heraus, beträgt das Alter der deutschen Gründer stolze 38,6 Jahre! Berufsspezifisches Know-How und Erfahrung, aber auch die Ansparung von Startkapital, sind offenbar nicht zu vernachlässigende Faktoren, die die Gründungsbereitschaft signifikant beeinflussen und eben mit dem Alter günstiger ausfallen.

 

Mythos Nr. 2: Gründer sind risikofreudig

 

Wir kennen sie alle, die Beispiele der berühmten risikofreudigen Gründer. Elon Musk, so heisst es, steckte sein komplettes Vermögen in Unternehmen, so dass er sich am Ende Geld borgen musste, um seine Miete zahlen zu können. Von Mark Zuckerberg ist das Zitat überliefert: "Das größte Risiko geht ein, wer gar kein Risiko eingeht.“ Natürlich, ein Unternehmen zu gründen, dafür große Investitionen zu tätigen und auf ein verlässliches Einkommen als Angestellter zu verzichten, ist immer ein Risiko.

 


Aber stimmt es, dass Unternehmer deswegen risikofreudiger als ihre Mitmenschen sind?  Eine Studie der amerikanischen Eliteschmieden Stanford und Princeton untersuchte das Risikoverhalten von angehenden Unternehmern im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. In einem Planspiel konnten die Teilnehmer zwischen einer Investitionsentscheidung mit 80-prozentiger Chance auf 1,25 Millionen Dollar und einer mit einer 20-prozentigen Chance auf 5 Millionen Dollar wählen. Das Ergebnis: Gründer in spe waren tatsächlich weniger risikofreudig als ihre Mitmenschen. Die Gründer bevorzugten mehrheitlich die höhere Wahrscheinlichkeit für den kleineren Gewinn. In der Vergleichsgruppe war es genau umgekehrt. Mit dem kleineren Risiko handelten die Unternehmer also getreu der Maxime: Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Wer hätte das gedacht?

 

Mythos Nr. 3: Gründer sind Charismatiker

 

Was wären vor einem Jahrzehnt die Präsentationen der neuesten Apple Produkte durch Steve Jobs oder heutzutage der unternehmerischen Visionen von Elon Musk ohne das Charisma dieser beiden Persönlichkeiten? Wer würde sich für dieselben Ideen oder Produkte begeistern, wenn sie vom Hausmeister von nebenan in der Kneipe bei einem Bier verkündet würden? Wem würde man die neue Kapsel-Kaffeemaschine eher abkaufen - einem schmierigen Vertreter an der Haustür, oder einem faszinierenden charmanten Beau?


Aber Vorsicht: Die Schattenseite vieler Charismatiker ist es, dass sie auf einem extrem schmalen Grat am Abgrund zu Manipulation und Psychopathie operieren. Der Bestseller-Autor und Karriere-Spezialist Martin Wehrle hat in seinem Buch: „Der Klügere denkt nach“ eindrucksvoll gezeigt, warum auch oder gerade dezente und introvertierte Charaktere extrem erfolgreich sein können. Mir scheint es aus dieser Sicht viel besser zu sein, sich im Geschäftsleben im Zweifelsfall dann doch eher auf den soliden Fachmann von nebenan zu verlassen als auf den aus allen Medien bekannten Frontmann eines fragwürdigen neuen Hypes.

 

Mythos Nr. 4: Durch Scheitern wird man klug

 

Die Regale der Buchläden sind voll von Büchern, die das Lob des Scheiterns singen. „Die Kunst des Scheiterns“, „Die Schönheit des Scheiterns“, „Richtig scheitern“, „Spielerisch scheitern“. Fast möchte man denken, dass es bei der Unternehmensgründung gar nicht auf Knowhow ankommt. Man müsse nur genügend häufig gescheitert sein, um beim nächsten Mal einen Erfolg zu landen. So als wäre der Erfolg einer Unternehmensgründung ein Lotteriespiel, an dem man nur oft genug teilgenommen haben muss, um irgendwann geradezu zwangsläufig einen Gewinn zu ziehen.


Irrtum. Fakt ist: Gescheiterte Gründer sind nicht immer erfolgreicher, vielmehr scheitern sie oftmals wieder. Eine Studie des ZEW (s. Junge Unternehmen, Mai 2014) hat herausgefunden, dass Unternehmer, die ein früheres Unternehmen wegen Insolvenz oder aus anderen Gründen aufgeben mussten, mit einer höhere Wahrscheinlichkeit auch mit einem neuen Unternehmen abermals Insolvenz anmelden. Ohne eine solide Basis kann ein Geschäft nicht funktionieren – auch wenn man noch so viele Fehler macht und daraus lernt. Wenn das nächste Business zwar die alten Fehler vermeidet, aber keine positive Grundlage hat, dann wird auch die hundertste Gründung nicht von Erfolg gekrönt sein.

 

Mythos Nr. 5: Gründungsideen müssen disruptiv sein

 

Wirklich erfolgreiche Geschäftsideen sollten den Markt revolutionieren – eine ganz neue Klasse von Produkten erschaffen und damit das bisherige Angebot obsolet machen. Das mag im optimalen Fall eine sehr erfolgreiche Strategie sein. Tatsächlich haben z.B. die Digitalkameras den gesamten Foto-Markt komplett neu aufgerollt, und dabei so etablierte Player wie Kodak von der Landkarte gewischt. Aber heißt das notwendigerweise, dass jede gute Geschäftsidee so innovativ sein muss, dass sie diese disruptive Wirkung entfaltet?


In Wirklichkeit ist der Anteil der Firmen, die einen Markt tatsächlich verändern, verschwindend gering. In seiner Befragung unter den 500 wachstumsstärksten amerikanischen Firmen fand der US-Ökonom Amar Bhide, Autor des einschlägigen Klassikers „The Origin and Evolution of New Businesses“, daß nur 1 von 8 Unternehmern wegen einer außergewöhnlich innovativen Idee erfolgreich ist. 88 % verdienen ihr Geld mit einer alltäglichen Idee – die sie aber außergewöhnlich gut umsetzen.

 

Oliver Samwer (einer der beiden Gründer der extrem erfolgreichen Firma Rocket Internet) drückt es so aus: "Vielleicht gewinnen wir nicht die höchste Auszeichnung für die größte Innovation, aber was macht das schon? Man muss einfach super pragmatisch sein."

 

Und selbst wenn man tatsächlich eine äußerst disruptive Idee hat, heisst das noch lange nicht, dass sie ausreicht, um ein erfolgreiches Geschäft daraus zu machen. Stellen wir uns zum Beispiel den Menschen vor, der das Rad erfunden hat. Vielleicht war er ein wenig schmächtig gebaut und hat deshalb viel Energie darein gesteckt, ein Hilfsmittel zu erfinden, das auch ihm den Transport von schweren Gegenständen ermöglicht. Was konnte er dagegen tun, wenn ein doppelt so kräftiger Artgenosse ihm die Idee stahl und damit bei seinem Stammesoberhaupt allen Erfolg einheimste? Im modernen Businesskontext finden sich Beispiele zu Hauf, bei denen Erfindungen oder geniale Ideen einfach von einem großen Player aufgekauft oder – noch dreister – in juristischen Prozessen, die den eigentlichen Erfinder finanziell ausbluten, geradezu gestohlen wurden? Nein, auch eine disruptive Idee ist weder notwendig noch hinreichend, um ein erfolgreiches Geschäft zu generieren.

 

Fazit

 

Was schließen wir aus diesen Befunden?

Ich meine: das sind gute Neuigkeiten für alle diejenigen, die sich mit dem Gedanken tragen, eine eigene Firma zu gründen.  

 

Man muss nicht der blutjunge waghalsige charismatische Typ sein, der schon 3 Startups gegen die Wand gefahren hat, nun aber die brillianteste Idee des Jahrhunderts hat, die die Welt so wie wir sie kennen auf den Kopf stellen wird.

 

Auch und vielleicht sogar gerade ein Lieschen Müller im mittleren Alter, mit besonnen schwäbischem Gemüt und einem gerüttelt Maß an Berufs- und Lebenserfahrung kann erfolgreich gründen. Es muß nicht immer der genialische große Wurf an der Speerspitze der Innovation sein, sondern vielmehr durchaus auch mal das solide Geschäftskonzept, das sich anderswo bereits bewährt hat. Oder eine Idee, die man einfach noch besser, eleganter und cooler umsetzt.

 

OK, vielleicht wird Lieschen Müller mit ihrem Business nicht innerhalb der ersten 5 Jahre mit Investitionen von einer Milliarde Euro an die Börse gehen. Aber dafür bleibt ihr vielleicht auch der nachfolgende Crash erspart. Mit wohlkalkuliertem Risiko kann sie auch ohne charismatische Charaktereigenschaften ein gesundes Geschäft aufbauen. Langfristig könnte sie so vielleicht sogar erfolgreicher sein als die allseits bekannten Reichen und Schönen aus der Business Yellow Press.